Ein Interview der Südkurier mit dem kurdischen Autor Jiyar Jahan Fard
Jiyar Jahan Fard, 1985 in Gilan-e-Gharb, Provinz Kermanshah, geboren, ist ein kurdischer Schriftsteller und Sprachforscher. Aufgrund seines Engagements für die kurdische Sprache und Kultur wurde er auf Druck der Sicherheitskräfte von der Schule verwiesen. Vor seiner Übersiedlung nach Deutschland wurde er mehrfach inhaftiert und im Gefängnis gefoltert. Jiyar Jahan Fard ist Vorstandsmitglied der Kurdistan PEN Association und war von 2018 bis 2021 Stipendiat des Writers-in-Exile-Programms des PEN-Zentrums Deutschland. Er veröffentlicht Texte in kurdischen Zeitschriften und Zeitungen und gibt seit 2018 das „J“-Magazin heraus. (on)
Herr Jahan Fard, im Iran werden Kurden offenbar ohne juristische Grundlage und ohne offizielle Begründung verhaftet. Welches sind die Gründe der Justizbehörden?
Im Iran herrscht ein totalitäres System mit national-religiösen Idealen. Dem gegenüber steht eine sprachliche, rituelle und kulturelle Vielfalt. Im Land leben persische, türkische, arabische, kurdische, belutschische, gilakische und andere ethnische Gruppen. Von Anfang an war es nicht-persischen Nationalitäten verboten, in ihrer eigenen Sprache zu lesen und zu schreiben. Obwohl Kurdisch und Persisch derselben Sprachfamilie angehören, haben iranische Politiker in der Monarchie und der Islamischen Republik versucht, mehr Druck auf Kurden auszuüben als auf andere ethnische Gruppen, da Kurden heute im Iran, Irak, in Syrien und in der Türkei eine Bevölkerung von über 40 Millionen ausmachen. Es gibt eine Vereinbarung zwischen den vier Nationen, die Kurden im eigenen Land zu unterdrücken, damit diese ihr Recht auf Selbstbestimmung nicht einfordern.
Auf welche Weise betreiben iranische Staatsmedien eine Kampagne der Stigmatisierung, Dämonisierung und Kriminalisierung der Kurden?
Es gibt nur eine Partei im Iran, und das ist die Islamische Republik selbst. Alle Plattformen im Land sind staatlich. Daher kann die Regierung jede Person leicht strafrechtlich verfolgen und zu Gefängnis oder zum Tode verurteilen. Wenn ein Schriftsteller, Journalist
oder ein kultureller und politischer Aktivist im Iran verhaftet wird, erhebt die Regierung Anklage gegen ihn wegen Handelns gegen die nationale Sicherheit. Aber jeder verhaftete kurdisch Schriftsteller oder Aktivist wird wegen Separatismus und Mitgliedschaft in kurdischen Parteien angeklagt.
Sie waren als Schriftsteller und freier Publizist tätig. Wie sahen die Repressalien gegen Sie persönlich aus?
Ich musste viele Verhöre, Verhaftungen, Einzelhaft, weiße Folter (psychische Folter, die Red.) und die Verhinderung meiner schriftstellerischen Tätigkeit über mich ergehen lassen. Jeder kurdischsprachige literarische, kulturelle oder politische Aktivist im Iran, der intellektuell unabhängig ist und nicht mit der Islamischen Republik kooperiert, gilt als Separatist. Und in der Türkei werden dieselben Aktivisten als Terroristen bezeichnet. Ich habe sowohl im Iran als auch in der Türkei Hafterfahrung im Zusammenhang mit der kurdischen Sprache und Literatur. Ich werde von den Herrschern dieser beiden Länder sowohl als Separatist als auch als Terrorist angesehen, weil ich als Schriftsteller und Aktivist nie mit einem undemokratischen und menschenverachtenden System zusammenarbeiten konnte und werde. Das erste Mal, als ich im Iran festgenommen wurde, sagten mir die Sicherheitskräfte, dass sie meinen Charakter auf verschiedene Weise zerstören würden, sollte ich meine Aktivitäten nicht einstellen.
Sie wurden Anfang 2017 inhaftiert, weil Sie sich für die Bewahrung der kurdischen
Sprache und Kultur einsetzten. Was genau wurde Ihnen vorgeworfen?
Ich wurde in der Stadt Mardin in Türkisch-Kurdistan unter der erfundenen Anschuldigung, Mitglied der Arbeiterpartei Kurdistans zu sein, festgenommen. Meine Absicht bei dieser Reise war, an einer Konferenz über kurdische Literatur teilzunehmen und mein Buch in Diyarbakir zu veröffentlichen. Meine erste Erfahrung einer Verhaftung durch Sicherheitskräfte liegt aber bereits 21 Jahre zurück. 2001 wurde ich als Schüler für einige Stunden inhaftiert. Ein Jahrzehnt später wurden ich und sieben andere Kulturaktivisten erneut von Sicherheitskräften festgenommen. Ich war fast zwei Monate in Einzelhaft. Man beschuldigte mich der „Kollaboration und Unterstützung kurdischer Parteien und Handlung gegen die nationale Sicherheit“. Der wirkliche Grund waren meine Aktivitäten hinsichtlich der kurdischen Sprache und Literatur.
Wie wurden Sie im Iran im Gefängnis behandelt?
2011 war ich 50 Tage in Einzelhaft. Außer, wenn ich verhört wurde, war ich immer allein in derselben winzigen Zelle. Die Verhörbeamten gaben mir nur Nachrichten von der Außenwelt, die mich beunruhigten. Sie sagten, meine Familie sei zu Besuch gekommen.
Wenn ich jetzt gestünde, könne ich sie sehen. Das machte mir Sorgen. Später fand ich heraus, dass meine Familie nicht einmal wusste, wo ich festgehalten wurde. 50 Tage lang war ich allein ohne Zugang zu Büchern oder Zeitungen. Zusätzlich zu dem psychischen Stress konnte ich mich körperlich kaum bewegen, da die Zelle so klein war. Manchmal spielten sie stundenlang lautstark den Koran ab, um mich unfähig zu machen zu denken. Da in der fensterlosen Zelle eine kleine Lampe 24 Stunden am Tag brannte, war auch mein Schlaf gestört.
Worauf beruhen diese Foltermethoden?
Wenn es um Gefängnis geht, betreibt die Islamische Republik Iran zweifellos viel Forschung. Ich habe mit meinem ganzen Sein den Schmutz dieser Despotie berührt. Die juristische Grundlage des herrschenden Regimes ist das fundamentalistische islamische Recht. Jeder, der sich der Regierung widersetzt und Reformen einfordert, gilt als Abtrünniger. Ihre Sicherheitsorganisation wurzelt in der gefürchteten Savak, der Sicherheitsorganisation des vorherigen Regimes. Man macht heute viel Gebrauch von KGB-Theorien.
2017 konnten Sie mit Hilfe des PEN-Zentrums nach Deutschland ausreisen.
Nachdem ich in der Türkei aus dem Gefängnis entlassen worden war, wurde ich von der Sicherheitspolizei in den Iran abgeschoben. Ich befand mich in einer schlimmen Situation. Obwohl ich von einem türkischen Gericht freigesprochen und die iranische Regierung über meine Unschuld informiert worden war, wurde ich jede Woche vom Geheimdienst verhört. Einen Monat nach meiner Freilassung riefen mich der damalige kurdische PEN-Präsident und Helim Yusiv (kurdischer Schriftsteller und Mitglied des Deutschen PEN- Zentrums, die Red.) an und sagten, dass das PEN-Zentrum Deutschland mich als Writer ins Exil eingeladen hätte, was mich natürlich freute. In Deutschland hat man mir ein Stipendium gegeben und mir wirklich das Leben gerettet. Können die derzeitigen Proteste das Regime ins Wanken bringen? Zweifellos haben diese Proteste die Ordnung der Regierung gestört. Da das Regime immer mehr Menschen tötet, verletzt oder verhaftet, verliert es seine Akzeptanz in immer mehr Schichten, und die Bewegung breitet sich von Tag zu Tag weiter aus.
Können die Proteste zu dauerhaften Veränderungen im Iran führen?
Einige Veränderungen sind schon jetzt zu erkennen, ich erwähnte die Solidarität der ethnischen Gruppen, die meiner Meinung nach anhalten wird. Auch die geänderte Einstellung der Menschen ist eine wichtige Sache. Selbst in Gebieten des Iran, in denen die Frau durch den Islam völlig aus der Gesellschaft entfernt wurde und radikaler Islamismus vorherrscht, sehen wir, dass neben Frauen auch Männer die Rechte und die Freiheit der Frau verteidigen. Die Rechte der ethnischen Gruppen und diese Art des Kampfes werden stark zunehmen. Durch ihre geänderte Einstellung wird sich die Gesellschaft in Richtung Freiheit und Demokratie bewegen.
Fragen: Olaf Neumann
Aus der Südkurier Nr. 264 | W Dienstag, 15. Nov. 2022 (Kultur S. 11)
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